Seit Jahresanfang fast jeden Abend Gespräche gehabt, gestern gleich drei, heute zwei Telefoninterviews, anstrengend, kannichmehr, aber kein Ende in Sicht.
Kopf schwirrt vor lauter Lebensläufen, Persönlichkeiten, Gesichtern. Weiß schon gar nicht mehr wer ich bin in dem ganzen Gewühl.
Sehr versucht, allabendlich einen alkoholinduzierten Tilt herbeizuführen (aber bislang standhaft). Wochenendmigräne ist gewiss.
Wenn man der Linie 715 aus der Innenstadt Richtung Außenbezirk folgt, weil man wie immer zu hibbelig ist, um nach der verpassten Bahn auf die nächste zu warten, und lieber die Beute des Einkaufsbummels ein paar Haltestellen vorwärts schleppt, kommt man zu einer kleinen Schneiderei mit vergilbten Gardinen und Kakteen im Fenster.
Hibbelig ist man selten nur einmal im Leben, und so war ich an dieser Haltestelle schon einmal, vor vielen Jahren, nachts, im Regen, ohne Einkäufe aber dafür in Gesellschaft. Ich weiß nicht mehr wie es dazu kam, zu viele Jahre seitdem, oder vielleicht wusste ich es auch nie genau, aber nach einigem hin und her kamen die Worte "natürlich kannich ne Scheibe einschlagen" leicht schlurrig aus meinem Mund. Im Nachhinein wundere ich mich sehr, dass es mir damals so wenig schwer fiel, schwachsinnige Dinge zu tun, es mir aber schier unmöglich war, eine Herausforderung abzulehnen oder etwas Gesagtes zurückzunehmen. An eine gewisse Übelkeit unter dem Adrenalin kann ich mich erinnern und an einen kleinen Gedanken, etwas Dummes zu tun, der mich von der großen Scheibe der Auslage auf die kleinere neben der Tür umzuschwenken ließ, als ob es das besser machen würde. Mehr Adrenalin, ein Krachen, das Gefühl, durch brechendes Eis zu stürzen, jemand reißt mich zurück und mit sich, kalte Luft in der Lunge, ein brennender Hals, viele Glassplitter auf der um den Arm gewickelten Jeansjacke, ein Kratzer am Daumenballen, Dosenbier und das Gefühl, dass jedes La-Lü in dieser Nacht mir galt.
Die Schneiderei sieht noch genauso aus wie vor vielen Jahren, drinnen wieselt ein altes Männlein umher, alles irgendwie in sepia. Ich kann mich so gut verstehen und doch irgendwie gar nicht, ich wünschte, ich könnte es nicht oder ich würde mich besser kennen oder was weiß ich. Wie angewurzelt stehe ich vor dem Laden und das Männlein in sepia grinst und winkt mir zu.
Schwachsinniges zu tun fällt mir noch immer unglaublich leicht. Plötzlich finde ich mich in dem Laden wieder. Während das Männlein auf mich zusteuert überlege ich blitzartig, was ich hier eigentlich will, die Tür hinter mir öffnet sich und gibt mir einige Sekunden mehr zum Finden der Antwort, die wohl irgendwo darin liegt, mich nach der Fensterscheibe von vor zig Jahren zu erkundigen und ob wohl die Versicherung gezahlt hat und falls nicht, was ich schuldig bin. Um dies genauer zu ergründen möchte ich dem neu angekommenen Ladenbesucher Vortrittt lassen, was dieser mit den Worten "Neee, Frollein, ich bin hier Inventar" ablehnt.
"Schöner Tag heute, nech? So sonnig!" ruft das Sepia-Männlein fröhlich, das Inventar nickt und produziert eine joviale Antwort und mir wird klar, dass ich hier fehl am Platze bin, hier braucht keiner was außer vielleicht ich selbst, der Mann denkt seit Jahren nicht mehr an seine Scheibe und er hat einen schönen Tag, alte Geschichten sind unangebracht.
Die Luft wird mir knapp, so als wäre hier zum letzten Mal gelüftet worden, als ich das Loch in die Scheibe schlug. Irgendwas murmele ich und stürze am Inventar vorbei aus dem Laden, auf den drei Stufen knicke ich noch um und stolpere auf das Pflaster, ergreife die Flucht.
Auf Bahnen warten ist nicht meine Stärke. Nach wenigen Minuten schleiche ich zurück, meine gesamte Barschaft in der Hand. Ein Mann mit seiner Habe in Plastiktüten erspart mir die Peinlichkeit, knapp 130 Euro in den Briefkasten einer Schneiderei mit vergilbten Gardinen und Kakteen im Fenster zu werfen. Endlich kommt dann auch die Bahn.
Während der Heimfahrt habe ich das Gefühl, dass sämtliche La-Lüs mir gelten. Zwecks Einlieferung, oder so. Vergangenheitsbewältigung. Keiner braucht das.
Ich bin ich.
Das Leben drum herum, das sind nur die Rahmenbedingungen.
Geruch von Regen auf warmem Asphalt.
Wird schmerzhaft vermisst.
Mit so ein bisschen Unterton von nassem Laub.
Immer wieder ertappe ich mich dabei, dass ich bestimmte Entscheidungen, mit denen ich scheinbar ringe, schon längst getroffen habe. Dass ich mich gut genug kenne, um zu wissen, worauf es hinauslaufen wird. Dass ich manche Dinge einfach nicht mache. Dass ich manche Dinge einfach tun muss.
Das schiebe ich aber ganz schnell weg. Und gaukele mir selbst vor, ich würde noch überlegen und abwägen. Und erbitte mir vor anderen Bedenkzeit.
Der Sinn ist vermutlich, dass ich mich mit der Entscheidung noch anfreunden möchte. Oder vielleicht auch, dass ich das Gefühl haben möchte, entscheiden zu können und nicht sowieso schon, durch ein innerliches, (glücklicherweise) nur mir selbst zugängliches, verzwickt-verzweigtes Netz an Erfahrungen, Werten und Charakterzügen, festgelegt zu sein.
Als ich da so gedankenverloren in mein wunderschönes neues Layout starrte, meine Hände am Tee wärmte, in Gedanken Frau Diagonale huldigte und Regen im Ohr hatte, klockerte plötzlich etwas übers Parkett und schlug gegen meinen Knöchel. Schluss also mit dem Abhängen - Frau Lilly-Charlotte möchte sechs Seltsamkeiten über mich erfahren. Naja, ich könnte jetzt kokettieren, dass ich gar nicht seltsam bin oder dass ich mich nicht auf sechs Dinge beschränken kann. Aber in Wirklichkeit hatte ich schon Angst mich fragt keiner mehr ist das natürlich gar nicht mein Stil... also sehen Sie, das ist mit mir so:
1. Ich habe noch zwei Milchzähne. 34 und 44 (bzw. eigentlich heißen die ja dann 74 und 84).
2. Mein Abitur wird im Bundesland Bayern nicht anerkannt. (Einer meiner Studienabschlüsse übrigens auch nicht, aber das ist weniger kurios, das geht vielen so.) Mein Abitur gilt dort nicht, weil ich in die Berechnung der Note sechs Sprachen einbrachte und keine davon war Bayerisch. Das geht natürlich nicht. Ich habe dafür vollstes Verständnis *süß lächel*.
3. Ich muss fast zwanghaft alles probieren, was ich genau identifizieren möchte. So verkoste ich jedes neue Shampoo, Duschgel, Rasierschaum, Pflanzen, Farben... und auch Krümel etc. die ich auf dem Boden finde und nicht eindeutig zuordnen kann. Glücklicherweise möchte ich die meisten Dinge, die draußen so herumliegen, nicht identifizieren.
4. Ich schneide meine Fingernägel nicht sondern beiße sie auf die gewünschte Länge. Selbstverständlich bin ich kein Nägelkauer. Es ist vielmehr eine zielgerichtete Handung, die ich bei Bedarf am Waschbecken im Bad verrichte.
5. Ich schlafwandle sehr extrem.
6. Im frühen Gymnasialalter gründete ich mit einer Freundin einen Club dessen Ziel es war, sich möglichst wenig zu Fuß fortzubewegen bzw. wenn absolut notwendig dabei extrem große Schritte zu machen. Es gelang uns, mehr als 20 Mitglieder zu gewinnen, mit Mitgliedsbeitrag, Ausweis, Zeitschrift mit praktischen Ratschlägen, Fanshop und allem pi pa po. Nach einigen Monaten verloren meine Freundin und ich das Interesse und leugneten - trotz erdrückender Beweislage - jegliches Wissen von oder gar Beteiligung an diesem Unterfangen (für die Fälle Barschel und Daum empfinde ich übrigens starke Empathie).
(Ich bitte um Verständnis, dass ich den Namen dieses Clubs nicht nenne. Ich möchte nach 2 Dekaden des Schweigens nicht von versprengten Restmitgliedern zur Rechenschaft gezogen werden.)
Ich denke, das reicht. Weitergeben möchte ich dieses Holz an Frau Anje und Frau Morphine.
ich bin ja schon sehr angetan von meinem neuen Layout :-)
(bis 14:00 Uhr)
- Eine weitere Kindergartenabsage im Briefkasten gehabt
- Total komplett nassgeregnet worden
- SMS von der Putzfrau erhalten - sie kommt nicht mehr
- Küchenstuhl-Lieferung erhalten - im Paket eine Hälfte Stuhl und eine Hälfte irgendwas
- Spülmaschine kaputt gegangen
- Kind nach 10 Minuten schreiend aus dem Mittagsschlaf erwacht
Oft macht man sich ja gar nicht so genau Gedanken, wie ein Tag eigentlich nun war, wie es einem geht, wie der Stresspegel gerade so ist. Ich habe jedoch mein persönliches Stimmungsbarometer, das werktäglich gegen 20:30 Uhr - in der ersten Einschlafphase des Novemberregentröpfchens - in Form eines kackbraunen Größerwagens vor dem gegenüberliegenden Haus vorfährt. "Naaang-nang-nang-nang, nang-naaaang, naaaaang" erschrillt die Hupe des Gefährts, woraufhin im 3. Stock des Hauses drei Grazien ans Fenster treten. "Komme gleich" sopraniert die eine, woraufhin der Fahrzeugführer in unverständlicher Sprache zurückschallt. "Komme gleeeeeiiiiiiiiiiich" wiederholt sie noch eine Stufe vernehmlicher. Der Fahrzeugführer dreht nun orientalische Lala bis zum Anschlag auf und verbleibt in Warteposition neben dem Gefährt. Trifft der Sopran am Wagen ein, wird noch einiges Gekreisch mit den zwei im 3. Stock verbleibenden ausgetauscht, bis nach einigem Türenschlagen die orientalische Lala verklingt.
An guten Tagen nehme ich dies schmunzelnd zur Kenntnis, erfreue mich an der kulturellen Vielfalt meines Wohnortes und wippe den Takt der Lala mit den Zehen.
An normalen Tagen bin ich, leicht irritiert, versucht, mit einem nicht mehr benötigten Gegenstand aus dem Fenster auf das Dach des Fahrzeugs zu zielen.
An schlechten Tagen wird automatisch nach Erklingen des ersten "Naaang" Stressbewältigung initiiert und ich begebe mich in bester autogenes-Training-Manier auf eine Phantasiereise: die Treppe hinunter und auf die Straße, wo ich zunächst die Scheinwerfer und dann sämtliche Scheiben des Fahrzeugs eintrete und dem Fahrer dann derart in die Fresse schlage dass er sich fürderhin nicht mehr daran erinnern wird, wo die Hupe zu bedienen ist.
Heute ist anscheinend weder ein guter noch ein normaler Tag...
Lieber Herr Vortragender,
inhaltlich war es ok, aber als Tipp für's nächste Mal:
- Wenn Sie in den Raum kommen, und es sind schon Teilnehmer da, sollten Sie sie begrüßen - auch wenn das Seminar noch nicht angefangen hat. (Zwischennotiz an die Teilnehmer - wenn Sie in den Raum kommen, und es ist schon jemand da, wirkt auch von Ihrer Seite ein in den Raum gerichtetes "Guten Abend" nicht unangemessen).
- Verstecken Sie sich danach nicht hinter dem Laptop - Ihren Krempel müssen Sie vorher auf die Reihe bringen!
- Wenn Sie öfter Seminare abhalten, einen richtigen Raum dafür haben, lohnt es sich, den ganzen Kabelkrempel am Vortragstisch hinter einer Verkleidung verschwinden zu lassen (Billigvarianten aus Stoff oder Tonpappe möglich). Für über den Boden verlaufende Kabel kann man diese Metallschwellen benutzen, ohne irgendwas anbohren zu müssen.
- Lassen Sie - bei bekannter Teilnehmerzahl - im Vorfeld überflüssige Tische entfernen!!
- Machen Sie keine geplanten Witze! Situationskomik ist ok, aber keine Witze sind definitiv besser als geplante.
- Wenn Sie den Teilnehmern Werbekrempel aufdrücken möchten, verpacken Sie ihn entweder praktisch oder ansprechend (oder beides).
- Ergreifen Sie nach dem Schlusswort nicht sofort die Flucht und verstecken Sie sich auch nicht wieder hinter dem Laptop. Sie können sich z.B. an die Tür stellen, sie den Teilnehmern öffnen und sie dort verabschieden (und ihnen den ansprechend/praktisch verpackten Ramsch in die Hand drücken - funktioniert tausendfach besser als komische Prospektstapel auf einen Tisch vor der Leinwand zu legen, garantiert!).
Danke. Bis zum nächsten Mal.
Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.
Er geht also weder die Lebenden an noch die Toten; denn die einen geht er nicht an, und die anderen existieren nicht mehr.
Epikur, Brief an Menoikeus
Ich bin ein Stehaufmännchen. Wo Leben ist ist Hoffnung. Das letzte Wort mag gesprochen sein, aber es gibt bestimmt irgendwo noch ein allerletztes. Gelinde gesagt, Entgültigkeit liegt mir nicht, ich kann sie nicht akzeptieren.
Frau Morphine schrieb unlängst darüber und mir wurde sehr unwohl. Frau Schüsselkind notiert ein kurzes Sätzchen am Ende eines Textes und sorgte für ein schlafloses Wochenende. Herr Nyxon schreibt gar einen Längertext den ich nicht bis zum Ende lesen kann.
Ich betrachte mich grundsätzlich nicht als sonderlich memmig, aber Tod ist ein Thema, bei dem mir sofort das große rote Panik-P vor den Augen blinkt und die Luft wegbleibt. Mit den meisten meiner Schwachpunkte kann ich mich mittelmäßig arrangieren, aber kommen Sie mir mit dem Tod und ich bin schneller weg, als Sie die drei Buchstaben aussprechen können.
Kein Kindheitstrauma, keine rationale Erklärung, nichts. Nackte Angst und kein Ansatzpunkt, diese auszuhebeln.
Das ist ein Versuch hier irgendwo einen Fußhalt zu finden.
[edit: ich finde übrigens, dass Epikur, mit Verlaub, da einen Aspekt übersehen hat]
wie doof ist das denn - eine Mail über jemanden schreiben und sie dann, weil man den Namen gerade so sehr im Kopf hat, genau an diese Person schicken.
Eine halbe Stunde in die Ecke stellen und Kopf gegen die Wand schlagen...
