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    Donnerstag, 13. März 2008
    Adiós Kartenleser - Für Frau Diagonale


    Hasta la victoria - siempre.
    ;-)

    Es begab sich also zu jener Zeit, als ich im Rapunzelturm meine Tätigkeit begann, dass mein Büro und das des damaligen Rapunzelturmchefs zwar nur einen Raum weit über den Gang auseinander lagen, sich dazwischen jedoch eine Brandschutztür mit Kartenleser befand. Der Kartenleser war auf der Ganghälfte des Chefs, was bedeutete, ich konnte ihn ohne Zugangskarte heimsuchenaufsuchen, kam jedoch dann nicht mehr bzw. nur auf Schleich- und Umwegen durch die gesamte Büroetage in mein eigenes Zimmer zurück. Wenn Sie jetzt nach dem Sinn dieses Arrangements suchen, können Sie gleich aufhören: es gab keinen. Und das ist auch der Punkt. Denn bereits nach etwa zwei Wochen war ich es leid, mehrmals täglich eine Wanderung zu absolvieren, wenn ich doch eigentlich nur mal kurz... und der Satz "gebensemaleben Ihre Karte ichhabmeine vergessen" war auch schon recht ausgelutscht.

    Also ging ich zur Büroleiterin und fragte, ob man diesen offensichtlich sinnlosen Kartenleser abschaffen könne. Die Antwort war "Nein". Ich fragte warum. Die Antwort war "Das geht Dich nichts an".
    Nun ist das eine Antwort, mit der ich zwar grundsätzlich meinen Frieden gemacht habe - manchmal ist sie aber schlichtweg unzutreffend. Ich hatte dort oben irgendeine hochwichtige Tätigkeit, deren genaue Ausgestaltung mir bis zum Ende nicht klar wurde, auszuführen. Da geht mich der Grund für die Nichtabschaffung eines nutzlosen Geräts, das mich alltäglich mehrfach auf Umwege schickt, sehr wohl etwas an. Dies tat ich kund - und bekam ein Bändchen, um meine Codekarte fortan um den Hals zu tragen.

    Das hatte ja nun schon einen gewissen Stil, mir so ein Bändchen auszuhändigen. In angemessener Bewunderung für diese Chuzpe hielt ich eine ganze weitere Woche still, bis ich meinen 4-Punkte-Plan zur Abschaffung des Kartenlesers aufnahm. Es handelte sich hierbei um die folgenden Phasen, die jeweils eine bis zwei Wochen andauerten.

    Phase 1: Schaffen der "Awareness".
    Wann immer ich nun dem Kartenleser begegnete - ob mit oder ohne Karte - sagte ich, gut vernehmlich, etwas in der Art von "Ach, der Kartenleser." Oder "Ach, gut dass ich die Karte an diesem Bändchen habe." Oder "Das ist ja echt was mit dem Kartenleser". Wann immer ich jemandem am Kartenleser begegnete, sagte ich: "Ach, der Kartenleser. Ihre oder meine?" oder "Ah, Sie haben die Karte dabei. Und ganz ohne Bändchen."

    Nach einer Woche war jedem, ausnahmslos jedem, auch den wenig vergesslichen Menschen im Büro, die immer ihre Karte bei sich tragen und sie automatisch vor jedes grüne Licht halten, die Existenz des Kartenlesers ganz vorn ins Bewusstsein gerückt. Es war an der Zeit, in Phase 2 zu wechseln.

    Phase 2: Infragestellung.
    In dieser Phase wurden meine beiläufigen Bemerkungen zu offenen Fragen zur Existenz des Gerätes. "Warum ist hier eigentlich dieser Kartenleser?". "Wissen Sie, wozu der gut ist?". "Ach, Sie haben keine Karte dabei? Ich hab ja dieses Bändchen. Wer hat den nur hier anbringen lassen?". "Was ist eigentlich, wenn es hier mal brennt?" (Als Brandschutzbeauftragte wusste ich, dass ein ausgelöster Alarm sämtliche Kartenleser deaktiviert - übrigens interessant, wenn man mal in so einen Bürotrakt einbrechen möchte -, was aber nicht heißt, dass man das nicht mal so in den Raum fragen kann). Es entwickelten sich kurze Gespräche, kleine Scherze, Anekdoten über andere Unsinnigkeiten des Alltagslebens wurden berichtet. Mit nur ein wenig Übertreibung kann ich sagen, dass der Kartenleser beinahe die Teeküche als kommunikatives Herz des Rapunzelturmbüros ersetzte. Die Zeit war reif für Phase 3.

    Phase 3: Das Zusammenziehen des Netzes.
    Hier musste ich die Suppe zum Kochen bringen, also aus Einzelmeinungen eine Gesamtmeinung formen. Die Ganggespräche wechselten von offenen Fragen zur Wiedergabe des bereits (von anderen) Gesagten: "Ach, Sie haben die Karte vergessen? Da sind Sie in guter Gesellschaft. Sogar der Herr X aus Büro Y stand letztens hier und hat gefragt, wozu dieses Gerät eigentlich noch da hängt.". "Machen Sie kurz auf? Ich bin so bepackt. Für die Postleute ist es auch nicht einfach mit dem Ding." "Warten Sie, ich mach schon - elendiges Teil. Der ganze Gang hier klagt darüber." Mir wurde warm ums Herz.

    Phase 4: Der goldene Moment.
    Es gibt sie manchmal, diese goldenen Momente. Ich bin unsicher, ob sie schlichtweg durch eine gehörige Portion Glück bedingt sind, oder ob auch eine gewisse Bereitwilligkeit, sie aufzuspüren und von jetzt auf gleich, von null auf hundert zu nutzen, dazu gehört. Vermutlich beides.
    Mein goldener Moment kam Ende Oktober. Der Chef des Rapunzelturms hatte eine sehr kleine und sehr feine Besprechung in seinem Büro. Weitere Mitarbeiter wurden nach und nach hinzugezogen. Ich wurde Hals über Kopf zum Übersetzen hineinbeordert - Karte samt Bändchen blieben auf meinem Schreibtisch zurück.
    Dann die positive Entscheidung, ein überhastetes Ende des Meetings bevor es sich noch jemand anders überlegte, nichts wie raus und zum Anstoßen und an die zehn Personen in dunklen Geschäftsanzügen drängelten sich vor der Brandschutztür mit Kartenleser. "Frau N., your card...?", sagte der Chef.

    Das war er, der goldene Moment.

    "I apologize", sagte ich mit leeren Händen, und, seufzend, "This card-reader....". Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil, bis all die anwesenden Mitarbeiter, randvoll mit Nach-Meetings-Adrenalin, lauthals in das Kartenleserlamento einstimmten, es in die Welt trugen, es zu einer schillernden, wirbelnden Wolke aus blitzend-überzeugenden Argumenten machten, die sich geballt auf einen einzigen Schluss richtete:

    "Please have it removed", sagte der Rapunzelturmchef leise zu mir, bevor wir - zum letzten Mal - auf Umwegen quer durch das Büro beschwingt zum Ausgang gingen.

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