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    Samstag, 22. Dezember 2007

    Übrigens habe ich heute Kafkas Tagebücher wieder gefunden. Ich meine keine große literarische Entdeckung, sondern meine eigene alte dtv-Ausgabe, die mir vor ca. 8 Jahren nach einer Geburtstagsfeier bei mir zu Hause, auf der zu späterer Stunde daraus gelesen wurde, abhanden kam und über deren Verschwinden ich immer wieder rätselte, denn - wer klaut schon Kafkas Tagebücher??

    Ich fand sie bei meiner seriösesten Freundin im Bücherregal und habe gleich am Buchrücken erkannt, dass es meine Ausgabe ist, sein muss, jedenfalls nicht ihre, denn sie behandelt ihre Bücher - im Gegensatz zu mir - sehr pfleglich. Dieses Buch stach hervor, ich nahm es aus dem Regal und öffnete es, darin stand mit schwarzter Tinte in meiner Handschrift oben links 9/91 und mit Bleistift ein paar Seitenzahlen.

    Auf den genannten Seiten entdeckte ich nichts, was ich heute noch für bemerkenswert halte. Also stellte ich das Buch kommentarlos zurück ins Regal und lieh mir statt dessen die Autobiographie von Stephen Fry aus.

    Das Dorf

    Heute morgen klingelte meine Schwester mich sozusagen aus der Dusche, weil ihr Auto nicht ansprang und sie einen dringenden Termin hatte. Die Klamotten, die ich hektisch vom Stapel griff, erschienen im ersten Moment nicht allzu anschiebtauglich, erwiesen sich aber als äußerst hilfreich in dem Bemühen, kräftige junge Männer zum mitreisen mitschieben zu bewegen.

    Wir hatten das Auto kaum aus der Parklücke bugsiert, als Papa herbeilief. Er hatte beim Einkaufen im nahegelegenen Supermarkt gehört, dass seine Töchter "ein Problemchen" haben. Wenig später brachte eine ältere Dame meinen (kaum deutsch sprechenden) Schwager herbei, der auch irgendwo spazierend unterwegs war und von dem die Bevölkerung offensichtlich meinte, er würde gebraucht. Der arme Mann wusste wohl kaum wie ihm geschah, konnte man ihm dies doch auch sprachlich nicht oder nur unzureichend vermitteln. Die gleichzeitig vorbeischlendernde Polizeistreife erwies sich als mein Grundschulklassenkamerad, mit dem ich damals so gut wie verheiratet war, dann kam noch der Lastwagenfahrer vom Wochenmarkt vorbei und letztendlich gab es nicht mehr genügend Stellen am Auto damit alle mithelfen konnten. Es fuhr dann aber auch, Papa rief "ich fahr nur mal eben um den Block und komme dann wieder" und wir übrigen blieben in der Kälte zurück. Vor lauter Schwatzen bemerkten wir nicht, wie die Zeit verging, aber dann wurde es doch kühl, so dass wir uns zu fragen begannen, wie weit "um den Block" wohl sei. Bevor wir suchend ausschwärmen konnten klingelte aber auch schon mein Handy, es war meine Mutter, der unsere Nachbarin mitgeteilt habe, sie hätte in der Post gehört dass mein Vater mit dem Auto in der magischen Straße mit K (Frau Diagonale kennt die) liegen geblieben sei, weil jemand einfach so ausgeparkt habe, und er würde sich nicht vom Fleck bewegen, weil es eine Auseinandersetzung gab und der Ausparker nun den Wagen fremdstarten müsse, es sei aber kein Überbrückungskabel vorhanden, wir sollten also alle, möglichst mit einem Kabel, in die K-Straße kommen. Wir zogen los, dachten noch über das Kabel nach als ein kleiner Junge um die Ecke bog und uns das Kabel "vom G. aus dem Blumenladen" in die Hand drückte. Prima. Papa und der Ausparker-Beifahrer hatten sich mittlerweile einen Frühshoppen aus der nahegelegenen Kneipe organisiert, die Auseinandersetzung war damit beendet.

    Kurz darauf fuhr der Wagen also, alle gingen weg und ich machte mich auf den Weg zu meiner Freundin, reichlich verspätet. Ich musste aber gar nichts erklären, sie wusste schon Bescheid, war doch ihr Mann kurz vorher in der Bäckerei gewesen um Kuchen fürs zweite Frühstück zu besorgen und hatte dort gehört, aus welchen guten Gründen meine Ankunft sich verzögern würde.

    Eine Großstadt kann sehr wohl auch ein Dorf sein. Man muss nur lang genug dort wohnen. Ich bin in solchen Situationen ganz hin- und hergerissen. Einerseits ist es ein wunderbares Gefühl von Gemeinschaft und Heimat. Andererseits werden mir die Gründe, warum ich einfach mal wo ganz anders hingezogen bin, in solchen Momenten überdeutlich.

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