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    Donnerstag, 28. Juni 2007
    Angst vor der alten Frau

    Mich in der U-Bahn zu einem Herrn in so ein Vierersitzdingens gesetzt. Ich setze mich immer zu jemandem, weil ich es affig finde, dass alle sich allein hinsetzen, in so ein Vierersitzdingens, auf einen Platz in Fahrtrichtung, meistens am Fenster. Vermutlich kenne ich deshalb auch mehr als ein Dutzend der mit mir pendelnden namentlich und weiß bei etwa doppelt so vielen, was sie ungefähr beruflich machen und ob sie Famlie haben. Ich finde, das ist ein guter Schnitt, wenn man bedenkt, dass die Fahrtzeit knapp 5 Minuten beträgt und ich die Strecke noch nichtmals zwei Jahre lang fahre.
    Diesen Herrn jedenfalls kannte ich nicht, er gehört nicht zu den Stammfahrern, was mir aber egal ist, da ich meistens einfach den nächstgelegenen Sitz nehme. Er schaute mich an und ich lächelte und er lächelte auch und er schaute auf meinen mp3player und ich schaute auf seinen mp3player und dann schaute er auf meine Hände und seufzte laut. Das war mir im ersten Moment extrem peinlich, hatte ich mir doch vorgenommen, vor dem wichtigen Meeting heute unbedingt noch die Nägel zu feilen und die Hände einzucremen und, falls genug Zeit ist, noch mit diesem Klarlack zu hantieren. Zeit war aber zu gar nichts (naja, man hat ja immer so viel Zeit, wie man sich nimmt, sagt Mama immer und recht hat sie, also:) bzw. ich nahm mir die Zeit dazu nicht und so starrte dieser nette Mann nun auf meine Hände und seufzte, meine Güte, wie wird dann erst diese alte grauhaarige Beißerin mit Dutt verunsichernd auf meine Hände starren, der ich in ein paar Minuten das Geld abluchsen soll, das uns nicht unbedingt zusteht aber das wir gerne hätten?
    "Die hübschen Frauen sind immer verheiratet", sagt der nette Herr dann, und sofort war ich erleichtert (mir war im selben Moment auch eingefallen, dass ich im Büro Nagelfeile und Handcreme habe und sowieso früh dran bin), bis mir das Wort "ah, Ehering" durch den Kopf schoss und ich, praktisch simultan zur Erleichterung, sofort wieder verunsichert war. Dabei fiel mir zusätzlich noch ein, dass Frau Grasdackel sagte, ich würde meine Gefühle viel zu sehr von anderen Leuten abhängig machen, so dass ich gleich doppelt verunsichert sein wollte, wegen Frau Grasdackel, dachte dann aber, dass die Ehering-Verunsicherung nun wirklich nichts mit diesem Mann zu tun hat sondern mit mir selbst (und wegen Frau Grasdackel war ich dann rein aus Prinzip nicht verunsichert, so!) weil mir in diesem Moment einfiel, dass dieses "Ehering-Kriterium" ein von mir bislang, also bis heute eben in der U-Bahn, völlig unbeachtetes war, das in meiner Wirklichkeit nicht vorkam. Ich habe noch nie, nie, nie jemandem auf die Hände geschaut um zu sehen, ob sich da ein Ehering befindet. Neue Welten tun sich auf! Wobei mir dann dabei einfällt, dass ich sowieso noch nie bei jemandem, den ich kennen gelernt habe, die "Verfügbarkeit" überprüft habe. Dass ich zum einen sowieso denke, dass Verfügbarkeit etwas relatives ist und das jeder mit sich selbst klären muss. Und dass ich zum zweiten, und da komme ich mir dann gleich wieder merkwürdig vor, noch nie jemanden angesprochen habe, mit dem Vorsatz, daraus so eine Mann-Frau-Sache, egal ob jetzt kurz- oder langfristig, zu machen. Und das, obwohl ich ja dauernd Leute anspreche, die ganzen Pendler zum Beispiel. Manche sagen schon zwanghaft. Also auch Leute, die ich interessant finde, d.h. wenn ich es mir genau überlege, eigentlich nur Leute, die ich interessant finde, wo wäre sonst der Sinn. Wobei ich auch wieder wenige Leute absolut uninteressant finde. Vielleicht ist das tatsächlich ein bisschen zwanghaft, aber ist ja egal. Auch wenn mich das nun verwirrt, diese Ehering-Erfahrung, die mir das Tor zu einer neuen Wirklickeit öffnet, in der solche Blicke zum üblichen "Check-up" bei Bahnfahrten werden, wie die Sicherheitseinweisung beim Fliegen.
    Zum Glück kommt jetzt die bissige Frau mit dem Dutt, die mich bisher bei jedem Gespräch dermaßen vom Tisch gefegt hat, dass mir schwindlig wurde. Zum Glück klingt in dem Fall dann auch unpassend, aber ich glaube fast, dass meine eigenen Gedanken mich noch schneller vom Tisch fegen als diese graue Eminenz. Ob mich das nun beruhigt, insgesamt, ist mir noch unklar, aber für das Gespräch gleich könnte es helfen. Nervositätsbekämpfung per Wortdurchfall zumindest teilweise erfolgreich. Ich geh dann da mal hin...
    (Ob die einen Ehering trägt??)

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