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    Freitag, 20. Oktober 2006
    Flashback

    Als ich in den Aufzug trete steht er mir plötzlich gegenüber. In einem grauen Geschäftsanzug, das Gesicht leicht gebräunt, kurze helle Haare. So viel weniger imposant als ich ihn in Erinnerung hatte.

    In meiner Erinnerung leuchtet eine Neonröhre aus dem Parkhaus mit der Tankstelle unten drin auf sein Gesicht. Der Tankwart nannte mich aus unerfindlichen Gründen "Röschen" und jedes Mal, wenn ich mit irgendwelche Gestalten dort auflief, sagte er "Ach Röschen, was machst Du denn für Sachen" und jjedes Mal wenn ich eine Faxe-Dose kaufte sagte er "Ach Röschen, das ist doch nichts für Dich" und eines nachts sagte er, als er mich reinließ, obwohl eigentlich nur noch der Nachtschalter geöffnet war, "Röschen, wenn Du Dich mal richtig wehren musst bei einem dieser Kerle, dann schlag ihm auf die Nase, aber ziel nicht auf die Nase sondern auf einem Punkt hinter seinem Kopf, als ob Du ihm durch den Kopf durchschlagen würdest, nur dann sitzt genug Kraft dahinter" und ich verbuchte das unter "absurde Ratschläge die keiner braucht".

    Auf dem kleinen Mäuerchen vor der Tankstelle hat der, der jetzt den schnieken Anzug trägt, mir mal kumpanenhaft auf den Rücken geschlagen und ich bin gleich runtergestürzt, "Schrank" nannten wir ihn und er konnte seine Kraft nie so recht einschätzen und gut, Schlagseite hatte ich sowieso schon. Die Hand hat mir der Tankwart verbunden, kleine Narben an den Knöcheln bleiben bis heute.

    Den im Anzug schaue ich mir jetzt genau an, um zu sehen, ob er vielleicht auch Narben hat, von der Faxe-Dose, die ich ihm ins Gesicht geknallt habe, so als ob ich sie ihm durch den Kopf durch schlagen wollte.

    Den armen Deppen, auf den sie losgegangen waren, weil er die falsche Jacke trug, nachts in einem Parkhaus mit Tankstelle unten drin, zerrte ich vom Boden hoch und schubste ihn in den Aufzug, weg war er. Der Schrank stand da mit offenem Mund und das Blut tropfte ihm von der Nase. Nach einigen Sekunden fokussierte sein Blick und mir kam der Gedanke, ich hätte auch in den Aufzug steigen sollen. So folgte der Faxe-Dose eine Ladung Tränengas und dann bin ich schneller gerannt als ich es je für möglich gehalten hätte.

    Manchmal frage ich mich, ob es gut ist, dass wir die Möglichkeit haben, nochmal von vorn anzufangen, dass es so gut wie überall eine 2. Chance gibt, dass wir einfach woanders hingehen und jemand anders sein können, Vergangenheit gestrichen. Manchmal würde ich lieber in einem kleinen abgeschotteten Dorf leben, in dem nach Generationen jeder noch weiß was wer wann gemacht hat und nichts vergessen und nichts verziehen und nichts vergeben wird. Wo man weiß, wer wer ist. Wo man keinem sympatischen, gepflegten Mann im Anzug gegenübersteht dem man gar nicht ansieht, dass er noch weiter tritt wenn der andere schon am Boden liegt.

    Ich sehe keine Narben, aber nach dem ersten, kurzen, entsetzten Blick zu mir klammert er sich visuell an seinem Gesprächspartner fest. Er hat Schweißperlen auf der Stirn und sie beginnen schon, ihm über die Schläfen zu laufen. Ein bisschen blaß um die Nase ist er auch. Es gibt Narben, die sieht man von außen nicht. Der Gedanke tröstet mich ein bisschen.

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