(Alles zu WmdedgT wie immer bei Frau Brüllen)
Aufgewacht in Rostock, zum Glück, Violinista hatte nachts versucht, mich mit irgendwelchen Stofftüchern oder Kleidungsstücken im Bett zu ersticken. Immer wieder warf sie sie auf mein Gesicht, und wenn ich sie wegschob, drückte sie sie zurück. Im Schlaf natürlich. Angeblich.
Gegen halb 8 stand ich auf und freute mich über die schöne Aussicht der Ferienunterkunft. Und freute mich, dass es mir gelang, nur mit Tasse, Kaffeepulver, Besteck und einem Papierfilter eine leckere Tasse Kaffee zu produzieren. Das hatte Violinista am Samstagmorgen schon geschafft, ich hatte aber nicht aufgepasst, wie, also musste ich das Rad heute noch einmal selbst erfinden, sie schlief nämlich noch. Ich vertrieb mir die Zeit mit Aus-den-Fenstern-schauen und lokale Radiosender ausprobieren, später telefonierte ich noch mit meiner Schwester. Unsere Tante ist nämlich gestorben und der Zeitpunkt der Beerdigun steht nun fest, meine Schwester ist im Urlaub, ich werde aber hinfahren können. Es hat sich in den letzten Jahren so ergeben, dass ich die Beerdigungsreisende der Familie bin. Zur Onkelbeerdigung fuhr ich letztes Jahr auch, zur Schwagerbeerdigung flog ich. Das ist für mich ok (also das Reisen – das Sterben finde ich traurig), ich bin, glaube ich, auch die reiseversierteste Person der Familie.
Ich dachte über eine zweite Tasse Kaffee nach, es war aber doch recht aufwändig, am Ende würde Violinista dann auch noch Kaffee wollen und, weil sie ihn gestern gemacht hatte, wäre es nicht unlogisch, wenn sie erwartet, dass ich einen mache, also schaute ich noch weiter aus dem Fenster bis es kurz vor Weckerlingeln war, ging dann ins Schlafzimmer und bot Violinista in freundlich-melodischer Stimme eine Tasse Kaffee an. Sie erschrak fürchterlich, fiel fast aus dem Bett, wollte auch keinen Kaffee. Gut, gut.
Der Wecker für Violinista hatte 40 Minuten vor Aufbruchzeit geklingelt und während sie alles tat, was vor einem Aufbruch erledigt werden muss, probierte ich auf dem Balkon die Temperatur aus, wechselte mehrfach zwischen zwei Paar Schuhen (einmal wasserfest, einmal bequemer) und zwischen „mit Schal“ und „ohne Schal“, zupfte störende Härchen von neben der Augenbraue weg, putzte Brille und Sonnenbrille. Ich blieb bei den bequemen Schuhen und ohne Schal.
Dann brachen wir auf, Violinista übernahm die Navigation und wir trafen Hafensonne und Fischköppi in einem nahegelegenen Lokal zum Frühstück/Mittagessen/Zwischenmahlzeit. Ich aß Eggs Benedict, fast immer, wenn ich die Möglichkeit habe, esse ich Eggs Benedict. Die heute spielten nicht in der allerobersten Liga doch waren solide gut. Dafür vermutlich die preiswertesten, die ich je hatte. Ich würde sie wieder bestellen.
Die Rostocker Damen boten an, mit uns nach Warnemünde zu fahren. Das hatten wir gestern Morgen noch ausgeschlossen, denn was soll man am Meer, wenn man nicht darin schwimmen kann? Dann waren wir aber ja durch die Stadt gezogen un hatten unter anderem ein Begegnungscafé besucht, in dem uns wirklich sehr nachdrücklich geraten wurde, nach Warnemünde zu fahren. Wir würden sonst etwas verpassen. Gut, es wurde uns auch geraten, in einem Kino einen französischen Film in Originalversion zu schauen und in einem neu eröffneten Schnitzelhaus zu essen, beides schlugen wir in den Wind. Doch das mit Warnemünde klang anders, eindringlicher, es stellte sich leichte FOMO ein, abgesehen davon, dass wir in der Stadt auch vermutlich schon alles gesehen hatten. So ging es nach Warnemünde und es war schön windig und wellig, angenehme Luft, wieder viele neue Dinge zu sehen und Tiere zu beobachten, ein Segler kippte mit seine m Boot um, das war auch interessant und auch auf dem Weg sahen und erfuhren wir Dinge, die Touristinnen sonst eher nicht ins Auge fallen, zum Beispiel, dass man in Rostock von Ost nach West nur über Umwege kommt, wenn man keine Maut/Fähre bezahlen möchte und dass es die Ortsteile Lütten Klein und Groß Klein gibt, das ist aber sprachlich gar kein Witz, denn „Klein“ bezieht sich nicht auf „klein“ sondern wenn ich das jetzt richtig recherchiert habe (spontan kamen wir nicht gleich auf den etymologischen Ursprung) von einem sorbischen Wort „klene“, das Ahorn bezeichnet, also Orte, wo Ahornbäume wachsen. Und dass es Leute gibt, die in Warnemünde an der Mole die Seebestattungen machen (lassen) und dann etwas auf die Steine schreiben, und dann gibt es wiederum andere Leute, denen das nicht gefällt und die das dann übersprühen und wiederum andere Sachen auf die Steine schreiben. Also emotional uninvolvierte Person nicht gut nachvollziehbar.
Dann wurden wir auch noch direkt an der Unterkunft wieder abgesetzt, wie kann man es besser haben als mit Eggs Benedict, guter Gesellschaft, spannenden Informationen und dann auch noch nach Hause bringen? Und einen Tipp für das Abendessen bekamen wir obendrauf, ich reservierte noch von unterwegs.
Allerdings wurde die Reservierung vom Restaurant später storniert, wegen irgendwas mit Wetter. Violinista war froh, die Wohnung nicht nochmal verlassen zu müssen, ich war hin- und hergerissen zwischen der Möglichkeit noch weitere Dinge zu erleben oder aber auf dem Sofa bei Liefer-Essen Rätsel aus dem ZEITmagazin zu lösen. Violinista hat nämlich so ein Buch dabei und mit Rätseln ist es bei mir leider ähnlich wie mit Computerspielen: ich werde binnen kürzester Zeit süchtig. Violinista hat das Buch seit mehreren Jahren und geht (natürlich, sagt sie), der Reihe nach vor, sie hatte 1-10 und 11 halb schon gelöst in den letzten Jahren wir starteten im Zug gemeinsam bei dem Rest von 11 und sind nun bei 13, die ganze Rückfahrt liegt noch vor uns und der heutige Abend ja auch noch!
Ich habe das Gefühl, unfassbar viele Zähne im Mund zu haben. Ich bin ein Krokodil. Oder Stefan Raab, der sieht auch immer so aus, als habe er mehr Zähne als alle anderen Menschen auf der Welt. Dabei habe ich heute nur die Krone auf ein Implantat bekommen (da, wo vorher der Milchzahn war) und zwei Inlays in Zähne mit alten Amalgamfüllungen. „Wie fühlt es sich an?“, fragte die Zahnärztin? „Sehr viele Zähne!“ nuschelte ich durch die Betäubung.
Zum ersten Mal seit Mai darf ich wieder alles, was ich will auf beiden Mundseiten kauen. Rohe Karotten, Nüsse, Eiswürfel! Es ist grandios!
Eine kleine Stelle an einem Inlay ist wohl optisch nicht perfekt. Man sieht sie, wenn man die Unterlippe nach hinten zieht und dann von schräg hinter mir mit einer Lupe und Lampe den Backenzahn Nr. 47, also den Zahn vor dem Weisheitszahn anschaut. Ich wüsste nicht wer das jemals tun würde außer der Zahnärztin, sagte also „ich denke, das ist Ihr Problem, nicht meines“. Sie antwortete, dass sie ja nicht wisse, wie mein Privatleben aussieht. Seitdem überlege ich, was sie damit meinen könnte.
An die ganzen Zähne im Mund muss ich mich jedenfalls erst einmal gewöhnen. Zumal ich aktuell keine Knirschschiene habe, denn heute war das Internet in der Praxis ausgefallen, was das Scannen von Zähnen und die Datenübermittlung ans Labor unmöglich machte. Normal trage ich nach irgendwelchen Zahnsachen immer gern ganztätig die Knirschschiene, damit ich nicht so viel mit der Zunge herumprobiere und unterschiedliche Arten zu beißen teste. So gewöhne ich mich schneller. Wie gesagt, jetzt nicht, jetzt muss ich mich ohne Hilfsmittel gewöhnen. Aber ich habe gleich in zwei Wochen den nächsten Termin und dann wird auch die Schiene angefertigt, spätestens dann ist alles gut.
In der täglichen Contentvorschlagliste wird gefragt, wie meine Erfahrungen mit dem Duolingokurs „Arabisch“ sind. Ich mache nun seit 47 Tagen täglich eine Lektion. Ich begreife rein gar nichts. Ich kann ein paar Schriftzeichen erkennen (ist mir auch auf der Straße neulich an einem Geschäft schon aufgefallen), ich absolviere die Übungen meist fehlerfrei, gleichzeitig habe ich nicht die geringste Ahnung, worum es überhaupt geht. Ich weiß nicht, ob die Zeichenkombinationen, die ich Lauten zuordne, existierende Worte sind oder Buchstabenbezeichnungen oder Phantasie. Eine Zeit lang ging es um Städte. Es kommt erschwerende hinzu, dass die Unterrichtssprache Englisch ist, das heißt ich ordne die Schriftzeichen einer englischen Lautsprache zu, was für mich – als deutsche Muttersprachlerin – halt doch immer noch „once removed“ ist.
Als ich die Schriftzeichen zum ersten Mal sah, dachte ich „kannste vergessen“. Sie wissen: ich bin die Person, die Bildsprache nicht richtig lesen kann, also Symbole, Piktogramme, Emojis nicht einfach erkennt sondern sie lernen muss, wie Vokabeln. Ich sah keine Chance für mich, mittelfristig diese Schriftzeichen identifizieren/wiedererkennen oder ihnen gar eine Bedeutung entnehmen zu können. Andererseits, dachte ich mir, habe ich unsere Schriftzeichen ja auch irgendwann gelernt, sogar in Schreibschrift und Druckschrift und fühle mich in der Verwendung sogar überdurchschnittlich kompetent. Mein Gehirn kann das daher grundsätzlich wohl schon.
Deshalb ließ ich mich entspannt auf das Experiment ein und bin überrascht, dass ich irgendwie doch meist das richtige erkenne und zuordne, auch, wenn es für mich inhaltlich noch völlig bedeutungslos ist.
Ich lasse mich noch überraschen, wo das alles hinführt. Effizient erscheint mir die Vorgehensweise bisher nicht und das ist mir egal, weil ich keinerlei Ziel verfolge. Ich bewege mich eher neugierig staunend umher.
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