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    Freitag, 15. März 2024
    15. März 2024


    Heute früh war ich also in der Schule. Ich war ganz verwundert, dass nicht überall Schüler*innen zu sehen sind, aber ich war um 8:10 Uhr da, da waren sie vermutlich in den Klassenräumen. Aber lungerte nicht früher Oberstufe immer irgendwo herum? Egal, ich fand das Schulsekretariat und Herrn M ohne Hilfe, eine Lehrerin (vermute ich, weil: Person über ca. 30 Jahre) war auch da. Ich schwenkte mein Plakat, sagte ich wolle es gern aufhängen und hätte von einem strengen Reglement bezüglich Klebeband gehört. Herr M bestätigte dies, fügte hinzu, auch die Größe des Plakats sei zu bestimmen und zu beurteilen, meines würde den Anforderungen wohl genügen, daher dürfte ich mir eine Rolle Klebeband und eine der vielen Scheren mit abgerundeten Ecken, die bereitlagen, nehmen und bitte natürlich beides zurückbringen.

    In meinem Enthusiasmus wischte ich mit dem Plakat mehrere Scheren zu Boden, hob sie natürlich auf, die Lehrerin sagte „oh-oh das wird Punktabzug im Abitur geben“, „ich habe ja schon Abitur“ antwortete ich und Herr M sagte „bei Ihrem Kind natürlich!“. „Dann müssen Sie den Namen notieren, meine Tochter ist M.“, sagte ich. M und Herr M kennen sich, das weiß ich. „Ach du mein Güte“, sagte die mir unbekannte Lehrerin, „ich muss los“.

    Ich hatte mir unter dem Klebeband ein hochwertigeres Produkt vorgestellt, eines, dass sich gut von Glasscheiben ablösen lässt zum Beispiel. Es sah aber nach dem billigsten Klebeband aus, das mir je in die Finger gekommen ist und schon, als ich das Poster an einer Ecke nochmal ablösen und glattziehen wollte, löste sich das Klebeband nicht mehr vom Glas sondern riss ab. Komische Geschichte, insgesamt.

    Im Büro wartete eigentlich ein Gespräch auf mich, das mir als „sensibel“ angekündigt worden war. Dann war die entsprechende Person aber gar nicht anwesend. Dafür war die neue Mitarbeiterin wieder da, die gestern plötzlich 1,5 Stunden vor Feierabend spurlos verschwunden war. Wir konnten das aufklären, es handelte sich um ein Missverständnis. So richtig in Schwung kam ich den ganzen Tag nicht. Nach wie vor warte ich auf das Protokoll des IT-Calls, in dem ich über die deutschen Aufbewahrungsfristen referiert habe, sie scheinen das nicht so gern verschriftlichen zu wollen. Gegen Abend bekam ich noch eine Mittelfinger-Mail vom Vermieter, telefonisch erreichbar war er danach nicht mehr. Also schrieb ich vor Feierabend noch kurz zurück und bog dabei den Mittelfinger um.

    Dann war es schon dunkel und ich wollte das Rad eigentlich nur in die Nähe der S-Bahn-Station fahren, es fuhr sich aber so gut, dass plötzlich eine knappe halbe Stunde vergangen und ich schon zu Hause war, bzw. beim Chor, also da, wo ich hinwollte. Wahnsinn. Ich bin gar nicht so außer Kondition, wie ich gestern morgen dachte, als ich mit platten Reifen im 1. Gang unterwegs war.

    In der täglichen Contentvorschlagliste findet sich heute eine für mich unwartete Frage: „Simone de Beauvoir und Sartre hatten in ihrer Zeit als junge Erwachsene die Idealvorstellung von einem total extravertierten Charakter, den sie im „kleinen Bost“ verwirklicht sahen (so weit meine Erinnerung an S.d.B.s Schilderung). Ist Ihre eigene Extraversion für Sie auch ein Idealzustand?“

    Zunächst einmal: ich bin froh, dass ich diesem Auskunftsersuchen intellektuell gewachsen bin. Mit dem kleinen Bost ist wohl Jacques Bost, Schüler von Sartre und Liebhaber von Simone de Beauvoir gemeint. Über seine Gemütshaltung weiß ich nichts, seine Beziehung zu Simone de Beauvoir ging allerdings über Jahrzehnte, also wird er wohl angemessen unterhaltsam gewesen sein, Simone de Beauvoir war ja immer sehr beschäftigt, sie hat bestimmt keine lästige Verbindlichkeit über die Jahre geschleppt.

    Ob Jacques Bost sich über seine Psyche Gedanken gemacht hat, weiß ich nicht. Ich selbst mache das nicht. Also weder stehe/sitze/liege ich irgendwo und ergründe in mir „ah, ich bin ja soundso“ und angenommen ich täte das, also ich säße jetzt im Sessel, würde einen Big-Five-Persönlichkeitstest oder was auch immer machen und zu dem Schluss kommen, dass ich extravertiert bin, warum sollte ich diese Erkenntnis dann mit einem Werturteil belegen? Warum sollte es mich freuen oder warum sollte es mich stören? So, wie ich bin, bin ich ja offensichtlich nun einmal, völlig egal, wie es benannt wird. Wäre ich zum Beispiel ein Mensch, der nicht so gerne mit anderen spricht, würde ich ja einfach nicht so viel mit anderen sprechen. Würde ich lieber Beobachten als Handeln, würde ich nicht ständig „hier!“ schreien, wenn irgendwas zu tun ist. Es wird also wohl schon passen, so wie es ist, denn sonst wäre es nicht so – ist das nicht eine viel vernünftigere Annahme als die, dass ich mir überlegen könnte, ob ich so bin, wie ich es gut finde?

    Und selbst, wenn ich mir nun das Persönlichkeitsmerkmal „extravertiert“ zuschreibe, erlaube ich mir trotzdem jederzeit, mich von Menschen zurückzuziehen, Zeit alleine zu verbringen oder in Gesellschaft zu schweigen. Wir sind alle nicht verpflichtet uns nach irgendwelchen Labeln, die uns jemand aufklebt, zu verhalten, noch nicht einmal sind wir dazu verpflichtet, wenn wir uns das Label selbst irgendwann einmal aufgeklebt haben. Wir dürfen uns jederzeit ändern. Und wir dürfen – um zur Frage zurückzukommen – jederzeit annehmen, uns in unserem eigenen Idealzustand zu befinden, völlig egal, was für einer das gerade in diesem Moment ist.
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