Im beruflichen Kontext bin ich heute so vielen völlig bizarren Situationen begegnet, dass ich mir am Ende des Tages (nicht als Redewendung sondern rein als Zeitbegriff gemeint) die Frage stellte, ob ich möglicherweise gerade ein Testverfahren in Bezug auf meine Urteilsfähigkeit durchlaufe. Es wäre dann allerdings ein sehr einfacher Test.
Ansonsten war der Tag eher ruhig. Der Patientin geht es etwas besser, die Kontrolle verlief positiv, sie hat momentan ein Gesicht, das breiter als lang ist aber das geht wohl wieder weg. Es sieht absolut faszinierend aus. Wie ein fremder Mensch. Ich saß die meiste Zeit am Schreibtisch, dazwischen Kühlpack, Suppe, dreimal kam ein Paketdienst. Ich habe die hässlichste Bluse, die ich jemals gesehen habe, bestellt. Auch eine Leistung. Es geschah nicht absichtlich, ich dachte, sie könnte so gerade eben funktionieren mit einem ganz bestimmten Spin, aber leider ging der Spin geradewegs in die andere Richtung und sie ist ein Ausbund an Hässlichkeit. Ich musste sehr lachen.
Ich habe momentan eine Kiste mit Dingen „zu verschenken“ vor der Wohnungstür. Im 2. Stock noch, weil ich noch keine Gelegenheit hatte, sie nach unten zu bringen, ich war immer anderweitig beladen. Erstaunlicherweise gehen die Dinge im 2. Stock vor der Tür aber auch schon gut weg, vielleicht liegt es daran, dass wir über uns jetzt zwei WGs haben. Mit sehr coolen jungen Leuten allerdings, ich hätte nicht gedacht, dass sie sich für meine abgelegten Handtaschen und Rucksäcke interessieren, aber so ist es wohl. Auch ein Paketbote griff zu, bei den Kindertaschen.
Es ist auch Zeit für ein Fingernagel-Accountability-Update: rechts drei gesplittert, links zwei. Keiner abgekaut. Dezentes Hurra.
Auf dem Rückweg vom Kontrolltermin gingen M und ich noch in einen Wollladen, Handarbeitsladen, ich weiß nicht, wie solche Geschäfte heißen, es gibt da alles Mögliche in Bezug auf Handarbeiten und auch fertige Produkte, die aber alle Unikate sind. M wollte Wolle kaufen, wurde auch freundlich beraten, an einem Holztisch saß eine Gruppe Frauen mit Heißgetränk, die man bei NYT Connections alle anhand bestimmter Kleidungsmerkmale hätte zu einer Gruppe zusammenfügen können und sie reagierten weder auf unseren Gruß beim Hereinkommen noch beim Herausgehen. „Was ist mit denen?“, fragte M als wir vor der Tür standen. „Weiß ich nicht, aber wir können wieder reingehen und sie uns vertraut machen, die stärkste Energie im Raum bestimmt die Energie im Raum“ bot ich predigend an. „Ich will wieder ins Bett“, sagte M. So wurde es gemacht. M zurück ins Bett, ich zurück an den Schreibtisch.
Die Frage in der unverbindlichen Contentvorschlagliste ist heute nicht so einfach: „>Diesen Teil der Empathie übe und baue ich auch seit Anfang 2021 weiter aus, weil sie ja ein sehr nützliches Handwerkszeug ist.< Weshalb gerade seit Anfang 2021? Und wie darf man sich dieses Üben vorstellen?“
Die Frage bezieht sich – ich habe das gegoogelt, kein Witz! – auf einen Post von mir im April dieses Jahres.
Gehen Sie mal gedanklich zurück zu Anfang 2021. Ab März 2020 hatten wir Pandemie mit viel Häuslichkeit und wenige Kontakte zu haben war eine Tugend. Kleiner Exkurs: ich bin davon überzeugt, dass diese Phase der Zurückgezogenheit, in der wir uns nur mit Personen getroffen haben, die uns wichtig waren, die wir gern hatten, unsere „Bubble“, uns einen großen Teil der Übung darin, uns auseinanderzusetzen mit dem, was wir eben nicht mögen und einen großen Teil der Übung im Diskurs abgekauft hat. Ohne Zweifel ist es nett, sich nur mit den Menschen zu befassen, die man mag. Ich glaube aber, das ist nicht, wie eine Gesellschaft funktionieren kann. Das ist aber ein anderes Thema, können wir gerne ein andermal diskutieren.
Zurück zu Anfang 2021, wir saßen immer noch oder schon wieder zu Hause, meine berufliche Kommunikation – in der man sich z.B. nicht die Menschen um einen herum aussuchen kann – wurde für mich immer herausfordernder, ich hatte den Eindruck, alle Emotionen schlagen immer höher, gleichzeitig verlief vieles schriftlich und was steht, das steht und es gab außerdem in meiner Rolle besonders viel Anlass, größeren Gruppen Mitteilungen zu machen, idealerweise in einer Form, in der es nicht danach eine große Explosion und Vernichtung gibt. Ich beriet mich deshalb mit den Internetdamen des virtuellen Büros häufig über die Frage, wie diese Kommunikation besser gelingen kann. Und fast immer landeten wir beim Thema „Empathie“.
Wie schon im Ursprungspost gesagt ist es nicht so, dass ich die Gefühle und Situationen anderer nicht gut erkennen könnte. Ich hatte nur signifikant unterschätzt, wie sehr die meisten Personen ihre Entscheidungen durch Emotionen leiten lassen, sogar, wenn es für sie selbst nachteilig ist. Weil das bei mir häufig anders ist und ich deshalb auch nicht so sehr darauf reagiere, wenn meine Emotionen anerkannt oder adressiert werden. So habe ich kein gutes Vokabular für solche Reaktionen, keine geübten Formulierungen, weil das alles nie in mir Resonanz erzeugt hat und damit nie hängen geblieben ist. Zusammenfassend könnte man sagen, ich kenne die zugehörigen Konventionen der empathisch-zugewandten Reaktion nicht.
Bzw. ich kannte sie nicht, ich übe ja schon eine Weile. Wie sieht das Üben also aus? Zunächst mal beobachte ich, wie andere sich verhalten. Wie reagieren sie, wenn sie z.B. den Schmerz einer dritten Person erkennen, welche Worte, welche Gesten verwenden sie und wie wird das angenommen, welche Reaktion folgt darauf wieder. Ich schreibe mir Sätze, Formulierungen, Gesten auf, die in einer Situation besonders wirksam. Mag für Sie lächerlich klingen; ich lerne das wie Vokabeln (weil ich es für nützlich und auch weil ich es für richtig halte), ich schaffe mir also zunächst einmal ein künstliches, ein erlerntes Repertoire. Das allein ist natürlich noch nicht das Ende des Weges, denn ich habe erst einmal nur bei Platitüden und Worthülsen, das mag in flüchtigen Kontexten hilfreich sein aber nachhaltig überzeugend und zeitbeständig ist das nicht.
Mittlerweile bin ich an einem Punkt, an dem ich betrachten kann, welche Handlungsweisen in mir selbst Resonanz erzeugen und habe ein besseres Gefühl für Möglichkeiten der Reaktion, die angemessen sind und gleichzeitig aus mir kommen und in meinem ganz eigenen Gesamtkontext auch Sinn ergeben, für die ich mich nicht verbiegen muss. Kurz gesagt, die aufrichtig sind und damit eine Haltung ergeben.
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