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    Donnerstag, 30. April 2009

    Heute morgen am Bahnsteig stelle ich fest, dass ich die (analoge) Uhr nicht lesen kann, weil es mir völlig unklar ist, ob die Zeiger auf 10 vor 8, 10 nach 8 oder evtl. auch 10 vor oder nach 4 stehen. Die Zuordnung rechts-links und die Richtungen haben einen Großteil ihrer Relevanz verloren. In diesem Moment fallen die übrigen Bruchstücke an ihren Platz: das aussetzende Kurzzeitgedächtnis (wo ist das Kind?? Achso, im Kindergarten abgegeben. Bin ich gerade auf dem Hin- oder auf dem Rückweg? Ach, ich fahr einfach mal weiter geradeaus, dann wird es sich schon klären...), das komische schwebende Gefühl beim Gehen und manchmal der Eindruck, rückwärts zu gehen oder zu stehen, während die Welt an mir vorbeizieht, die Probleme beim räumlichen Sehen, so dass ich Leuten ausweiche, die noch weit entfernt sind, andererseits aber ständig gegen Geländer oder Türrahmen stoße.

    In der Bahn schrecke ich immer wieder hoch. Ich erkenne die draußen vorbeiziehenden Straßen nicht wieder und wähne mich im falschen Zug. Ich habe wieder vergessen, wohin ich unterwegs bin. Die Leute, die um mich herum sprechen, und ich weiß nicht, ob sie mir mir sprechen, weil ich die Richtung, in die die Stimmen gehen, die Blicke und Mimik und die Lautstärke nicht interpretieren kann. Ich starre in die Zeitung, lese die Sätze aber kann ihnen keine Wertigkeit zuordnen. Was ist wichtig, was ist nebensächlich, was ist normal, was ist aufsehenerregend, was ist gut, was ist schlecht. Die Struktur der Welt verschwimmt.

    Ein Migräneanfall ist das Auge des Tornados. Während alles wirbelt und tobt und meine Gedanken sich gegenseitig in Fetzen reißen, schaltet der Kopf plötzlich einfach ab, fährt alle Systeme herunter. Wo keine Parameter mehr existieren, können keine Bewertungen mehr vorgenommen werden und folglich keine Entscheidungen mehr getroffen werden. Nichts geht mehr. Für einen Moment, für ein paar Stunden, für ein paar Tage. Der Kopfschmerz an sich lässt sich - bei mir - relativ einfach mit mittleren Dosen Schmerzmittel zurückdrängen. Beim Rest hilft nur Struktur, absolutes Leben nach Plan, um dem unverständlich und un(be)greifbar an mir vorbeifließenden Alltag zumindest ein Skelett zu verleihen, an dem ich mich halten kann. Am besten immer mit Musik im Ohr, als Taktgeber für die simpelsten Dinge wie Atmen, Gehen, Sprechen. Als Kopfschrittmacher.

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