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    Donnerstag, 9. Juli 2015
    Blogging November - 1345

    Die letzte Kraulschwimmkursstunde. Wir waren zu zweit: die nette Frau und ich.

    "Ich halte jetzt eine kleine Ansprache", sagte der Schwimmlehrer, und zog sich die Bermudashorts hoch. "Heute ist unser letzter Termin. Wir haben viel erreicht, viel mehr, als ich geplant hatte. Einige haben wir unterwegs verloren, also, eigentlich fast alle..." (hier verlor er kurz den Faden) "... aber im nächsten Quartal macht ihr ja weiter. Vier aus diesem Kurs steigen auf in die Fortgeschrittenengruppe. Und diese vier..." (er blickte uns zwei und zwei weitere imaginäre Teilnehmer so streng an, wie es ein etwa 20jähriger Mann in Schwimmhallenbekleidung kann) "...müssen zusehen, ihr Niveau über die Ferien zu halten. Ich will im nächsten Kurs nicht wieder von vorne anfangen! Ihr müsst regelmäßig schwimmen gehen und ihr müsst Übungen machen, nicht einfach herumschwimmen. Und deshalb wiederholen wir jetzt noch einmal ALLE Übungen."

    Und das taten wir. Scheibenwischer (mit Poolboy), Baumstamm (mit Poolboy), Seitenschwimmen und Haifischflosse (anstrengenderweise ohne Brett), Kraulabschlag und Achseltippen. Und dann noch "Reißverschluss", "Reißverschluss" war aber pure Schikane denn: es ist dasselbe wie Haifischflosse. Das gab der Schwimmlehrer sogar offen zu, jedoch würde man es im fortgeschrittenen Bereich nicht mehr Haifischflosse nennen sondern eben "Reißverschluss", und deshalb machten wir das dann auch noch. Und natürlich normales Kraulsschwimmen. Jeweils 4 Bahnen. Jede von uns auf einer Bahn. Der Schwimmlehrer hatte nichts zu kritisieren und die Streberoma war nicht da, um nach jeder Bahn etwa hundert Streberfragen zu stellen. Und das bedeutete: kein Pause. "Wenn ihr keine Luft mehr kriegt, schwimmt doch einfach langsamer", sagte der Kraulschwimmlehrer.

    Als wirklich gar nichts mehr ging und wir matt auf dem Wasser trieben - immerhin jede auf ihrer Bahn - gab es eine erneute Ansprache. "Jetzt seid ihr Fortgeschrittene. Fortgeschrittene machen coole Sachen, sucht euch mal einen Partner, das dürfte in unserer heutigen Konstellation keine Probleme bereiten."

    Und dann machten wir tatsächlich etwas Cooles, nämlich zusammen in einer Bahn schwimmen, den Rhythmus aufeinander abstimmen und bei jedem zweiten Zug High Five geben. Das hatte ich schonmal bei den Fortgeschrittenen beobachtet und war sofort superneidisch gewesen. Ich meine: Synchronkraulschwimmen mit High Five? Wie cool kann man sein? Warum habe ich das nicht als 13jährige gelernt, wie ich damit hätte angeben können, sowas bringt in der Peer Group doch viel mehr Anerkennung, als die größte Tintenpatronenkugelsammlung zu haben?! Und Anerkennung sucht bekanntlich jeder, gerade letzte Woche auf dem Bürosommerfest konnte man das noch beobachten, da kam ein kleiner Chef auf die Idee, nicht das Tor zum Biergarten zu benutzen, sondern über die Mauer zu flanken. Nur, dass er eigentlich nicht flankte, sondern krabbelte. Ich bin mir aber sicher, vor seinem inneren Auge flankte er und er bekam auch Anerkennung, sie war möglicherweise nicht coolnessbasiert sondern beruhte auf Rührung, für ihn, im Ergebnis, kam es aber aufs Gleiche heraus und so wird sein inneres Bild für immer unkorrigiert bleiben. Was eigentlich sehr schön ist. Und vielleicht öfter der Fall, als wir denken (wollen).

    Der Schwimmlehrer hingegen korrigierte unser inneres Bild unmittelbar, in dem er sagte: "Elegant sah das noch nicht aus, aber keine ist ertrunken. Noch drei Bahnen üben und ich will, dass das Abklatschen so laut ist, dass es durch die ganze Halle schallt!" Der Schwimmlehrer hatte einen ungewohnt autoritären Tag.

    Zwischendrin noch eine ganz wichtige Sache, die ich mir für diesen letzten Bericht aufgespart habe, nämlich: wie kriege ich das Wasser aus dem Ohr. Seit 12 Wochen führe ich nun eine Versuchsreihe durch und die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit - um die 90% - der Wasserimohrentfernung bietet sich, wenn man das Ohr seitlich mit Schwung aufs Wasser haut. Dies ist kein Scherz und Sie haben richtig verstanden. Ohr aufs Wasser hauen. So seitlich. Ob es an der Oberflächenspannung oder Viskosität es Wassers liegt, sich das neue Wasser also quasi mit dem im Ohr befindlichen verbindet und es mit hinauszieht, oder ob der hohe Erfolg durch den genauen Winkel und das schnelle Stoppen begründet ist, weiß ich nicht. Man kann natürlich versuchen, das Ohr mal in genau demselben Winkel zum Beispiel auf eine Tischplatte zu hauen, vielleicht hilft das genauso gut, ich habe aber nun das mit dem Wasser schon erfolgreich ausprobiert und bin damit aus der weiteren Testreihe raus. Falls Sie sich bemüßigt fühlen sollten, unterrichten Sie mich bitte über das Ergebnis.

    Am Anfang wollte ich das mit dem Wasser übrigens auch nicht glauben - die Kraulschwimmpartnerin hatte mir von diesem Verfahren berichtet und ich hatte es gleich in der ersten Schwimmstunde mit mäßigem Erfolg ausprobiert, bis ich folgendes herausfand: es darf keinesfalls Haar zwischen Wasser und Ohr sein. Dann klappt es nicht (was gegen die Theorie mit der Tischplatte spricht)! Und nun hab ich seit ein paar Tagen sowieso so kurze Haare, dass die Schwimmbrille sie derart fixiert, dass nichts in Ohr hängen kann.

    Dazu ein kleiner Exkurs: die Haare wurden im Nacken mit einem Messer geschnitten. Allein dafür hat sich die Frisur schon gelohnt. Ich weiß zwar nicht, wie es aussieht, ist ja hinten, aber Haare mit dem Messer schneiden finde ich toll. Wie ich sowieso Messer toll finde. Vielleicht ist das eine frühkindliche Prägung, ich hatte immer schon Messer, denn Papa N. sagte stets "Das Kind muss ein Messer haben, damit es sich nicht irgendwann schneidet!" und "Ein Messer muss scharf sein, damit man sich nicht schneidet!" Immer mal wieder bekomme ich von Papa N. scharfe Messer geschenkt, das ist so ein Ding zwischen uns, und ich habe, seit ich mich erinnern kann, von ihm ein Taschenmesser und das auch meist dabei. Interessanterweise - keine Sorge, ich werde die Kurve zurück zum Schwimmkurs kriegen, auch, wenn ich noch nicht weiß, wo sie sich befindet - hatte ich es in den letzten Jahren auch auf mehreren Flugreisen dabei, weil ich es verloren glaubte, in Wirklichkeit befand es sich aber im Innenfutter des Wickelrucksacks. Durch Zufall fand ich es dort wieder, als die Wickelzeit beendet war, da wurde mir auch gleich ein bisschen schwindelig denn der Versuch, Messer im Innenfutter von Rucksäcken in Flugzeuge zu schmuggeln, wird sicher nicht so locker gesehen. Ist aber ja nichts passiert und ich habe auch kein Flugzeug entführt, was für ein Glück, dass ich so eine tiefenentspannte Person bin.

    Noch eine Kleinigkeit am Rande: exakt dieses Messer steckte auch mal so ca. 5 cm tief in meinem Oberschenkel. Aber das ist eine andere Geschichte, der Grund war auch hier wieder einer, der Anerkennung eher durch Rührung als durch Coolness hervorruft und so gut kennen wir uns hier auch nach über 1300 Tagen noch nicht. Egal.

    Wie ein Messer durch weiche Butter (da!) zogen wir also durchs Wasser und klatschen nach jedem zweiten Zug so laut ab, dass die Halle wackelte. Vor dem inneren Auge. Es ist schwierig, an die ganzen Einzelheiten des Kraulschwimmens zu denken und gleichzeitig noch die Nebenfrau im Blick zu halten und gleichzeitig mit ihr den Arm zu heben - man muss ja nicht nur gleich schnell schwimmen, sondern auch Rhythmus und Atmung parallel haben. Aber wir haben es geschafft. Leute, die noch vor 12 Wochen den Kopf nicht ins Wasser legen konnten, noch nie etwas von Anemonenfüßen oder Haifischflossen aka Reißverschlüssen gehört hatten, die Arme beim Kraulen wie Mühlräder um den ganzen Körper herumgeschwungen und nach vorne geatment haben, können jetzt Kraulschwimmen. Mit Abklatschen.

    Das hat sich gelohnt.

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